Die wahre Arbeit
Das Zusammenspiel der folgenden Frage und meiner Antwort veranschaulicht gut, worum es hier in der Praxis geht:
Frage von Nils Heitmann:
Vorab erstmal Danke für den vielen hilfreichen Content und Inspiration, die ich (und wahrscheinlich andere) aus deinen Videos der letzten Wochen gezogen habe.
Tatsächlich nutze ich seit ca. 3 Jahren die Methodik der Selbsthypnose. Ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht wie du. Ich entwickle mich langsam aber stetig in die angestrebte Richtung. D.h. das Ganze funktioniert und ich persönlich habe Vertrauen in diese Methode der Selbstbeeinflussung gefunden, so dass ich sie werktäglich anwende.
Der Kasus Knacktus liegt für mich aber in Punkt 1. und 2. aus deinem Video „Die drei großen Fragen des Lebens“.
Wer bin ich wirklich und was will ich wirklich? Wobei ich hier die Betonung auf „wirklich“ legen möchte.
Ich nutze zur Selbsthypnose eine VR Brille auf der ich einen selbst zusammengebastelten „Film“ ablaufen lasse. Das ist letztendlich auch nur eine gesprochene Tonspur + Thetawellen + Standbilder, die ein bisschen animiert sind.
Das funktioniert für mich super, da ich weiß das mein hauptsächlicher Eingangskanal der visuelle ist.
Doch jetzt zum Punkt: Wer bin ich wirklich? Und was will ich wirklich?
Ich habe noch alte Versionen von meinem Mindmovies (so nenne ich die VR Filme) und kann daran schön meine „Entwicklung“ rekonstruieren.
Das ging anfänglich mit ganz profanen Dingen los (die einem als erstes so oberflächlich in den Sinn kommen): ein Bentley, ein bestimmtes Monatseinkommen, keine Arbeitnehmertätigkeit mehr, etc.
Mittlerweile stehen meine Familie und meine körperliche und geistige Entwicklung im Fokus.
Mich interessiert jetzt vor allen Dingen, über welche Methodik/Fragetechnik etc. komme ich zu meinem wahren Kern: Wer bin ich wirklich?
Jeder Mensch hat ja Vorstellungen über sich. Wie man so ist, welche Eigenschaften man besitzt, was einen befriedigt etc. Das sind ja meist ganz schmeichelhafte Storys die man sich da selbst erzählt, aber oftmals sind das nur Dinge, die eher die Erwartungen und Zuschreibungen von Eltern und näherem Umfeld widerspiegeln, als tatsächlich mein wahres Ich, meine wahre Berufung etc zu sein.
Also, bevor ich ausgefeilte Selftapes konstruiere, ist es das A & O das Richtige dort reinzuprogrammieren - sprich ich brauche die Gewissheit, dass ich bei meiner Selbsterkenntnis auf dem Grund angekommen bin. Das ist die wahre „Arbeit“ - das Umsetzen mit entsprechenden Mitteln (Meditation, Hypnose, etc.) ist im Anschluss „nur“ noch Gewohnheit.
Und das ist es also, was mich interessiert. Wie komme ich dorthin? Also wie weiß ich: das ist jetzt tatsächlich der Kern meines Wesens und Wollens.
Antwort von Max:
Da hast du völlig Recht – die wahre “Arbeit” ist die Selbsterkenntnis, der Rest ist dann “nur” noch Gewohnheit.
Ich unterscheide zwischen zwei Formen der Selbsterkenntnis: Der absoluten/essentiellen und der relativen/psychologischen.
Die von dir angesprochenen Storys, unsere Ich-Geschichten, gehören in den Bereich der psychologischen Selbsterkenntnis. In diesen Bereich gehört auch unsere Konditionierung/Sozialisierung. Hier geht’s um den Charakter, den wir im Spiel des Lebens spielen – den Protagonisten unserer Ich-Geschichten.
Wenn wir herausfinden wollen, wer wir WIRKLICH sind, müssen wir aber nicht nur diesen Charakter hinterfragen, als den wir uns alltäglich erleben, sondern auch den Erleber dieses Erlebens. Das ist absolute/essentielle Selbsterkenntnis.
Du hast mich nach der Methodik/Fragetechnik gefragt, mit der man hier vorankommt. Bevor ich darauf antworte, möchte ich der Transparenz halber darauf hinweisen, dass diese Methodik unter verschiedenen Namen bekannt ist, z.B. Selbstbefragung bzw. Self-Enquiry, jahrtausendealt ist und sowohl fernöstliche als auch westliche Linien hat. Mehr dazu würde jetzt hier den Rahmen sprengen.
Also, welche Art von Fragen können uns helfen, essentielle Selbsterkenntnis zu erlangen?
Solche Fragen, die nicht auf die Gegenstände unserer Wahrnehmung, sondern auf den Wahrnehmer abzielen; Fragen, die nicht auf das abzielen, was kommt und geht, sondern Fragen, die auf das abzielen, was ewig ist.
Konkrete Beispiele um den Unterschied deutlich zu machen:
Fragen wie “Warum empfinde ich das so?” oder “Warum will ich das?” oder “Was ist mein Motiv dafür?” zielen auf unsere Psychologie ab. Das sind Fragen der relativen Selbsterkenntnis, da unsere Psychologie aus nichts anderem als aus Gedanken und Gefühlen besteht und unsere Gedanken und Gefühle kommen und gehen.
Aber wir bleiben. Entsprechend zielen Fragen wie “Was ist das immer präsente Element meines Erlebens?” oder “Wer oder was nimmt meine Sinneseindrücke, Gedanken und Gefühle wahr?” auf unser essentielles Selbst ab.
Ramana Maharshi z.B. hat dafür einfach die Frage “Wer bin ich?” verwendet – von vielen Menschen wird diese Frage jedoch als Frage nach ihrer Psychologie, also nach Ihren Gedanken und Gefühlen, missverstanden.
Eine Frage, die wohl kaum missverstanden werden kann, ist einfach “Bin ich bewusst?”
Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns, wenn auch nur für einen Sekundenbruchteil, von den Objekten unseres Bewusstseins abwenden und uns selbst, dem Subjekt, zuwenden.
Genau darum geht es bei essentieller Selbsterkenntnis. Welche Eigenschaften hat unser essentielles Selbst? Welches Element unserer Erfahrung ist absolut konstant und welche Eigenschaften hat es?
Noch ein paar konkrete Fragen in diesem Sinne:
Habe oder könnte ich jemals meine eigene Abwesenheit erleben?
Welche Implikationen hat das?
Was ist das einzige wirklich konstante Element meines Lebens und wie könnte ich es nennen? Hat die Benennung irgendeine Auswirkung auf seine Eigenschaften?
In welcher Beziehung stehe ich zu meiner Kognition?
Und in welcher Beziehung steht mein Körper zu meiner Kognition?
Habe oder könnte ich jemals etwas anderes als meine eigene Wahrnehmung wahrnehmen?
Was ist die notwendige Voraussetzung für jede meiner Wahrnehmungen?
Welche Evidenz gibt es dafür, dass es mich, essentielles Selbst, jemals nicht gab?
Welche Evidenz gibt es folglich dafür, dass es mich jemals nicht geben wird?
Sobald die Antworten auf derlei Fragen sonnenklar sind, hast du essentielle Selbsterkenntnis erlangt. Dann hast du herausgefunden, wer deinen Charakter im Spiel des Lebens spielt, wer du vor und nach deiner Erfahrung bist.
Dieser Erkenntnisprozess ist niemals wirklich abgeschlossen – du kannst relativ schnell große Fortschritte machen, aber die Integration deiner Erfahrung in dein neues Selbstverständnis endet nie.
Genau dieses neue Selbstverständnis wird im Laufe der Zeit auch dazu beitragen, dass sich praktisch alle anderen Fragen ganz von alleine beantworten. Mit anderen Worten: Was ich wirklich will, ergibt sich daraus, wer ich wirklich bin.